Als François Bayrou, Premierminister am 8. September 2025 vor dem Parlament in Paris die Vertrauensfrage stellte, war das Ergebnis für die meisten Beobachter bereits festgeschrieben: Er verlor. Der Rückschlag markiert das offizielle Ende seiner neun‑Monats‑Regierungszeit und lässt Präsident Emmanuel Macron vor eine Entscheidung, die das politische Gleichgewicht Europas erheblich erschüttern könnte.
Die aktuelle Regierungskrise lässt sich nicht auf einen Tag zurückführen, sondern ist das Ergebnis einer Kette von Fehlentscheidungen, die im Juni 2024 mit den Europawahlen begannen. Dort erlebte das Bündnis von Präsident Macron – das „Ensemble“ – den größten Stimmenverlust seit seiner Gründung. Unter dem Druck löste Macron die Nationalversammlung auf und setzte zuerst Michel Barnier als Interim‑Premierminister ein. Barnier scheiterte ebenso an der Fragmentierung des Parlaments, sodass Bayrou im Dezember 2024 das Ruder übernahm.
Seitdem teilen sich drei politische Blöcke fast gleichmäßig die Sitze: die rechtsextreme Rassemblement National unter Marine Le Pen, ein linker Block aus La France Insoumise, Sozialisten, Grünen und Kommunisten, sowie ein zentrumsnaher Block, der bislang weder den linken noch den rechten Flügel dominieren konnte. Traditionell hat Frankreich Koalitionen vermieden – das System ist auf Mehrheitswahl im Einzelwahlkreis ausgelegt – wodurch das Parlament heute eher ein Minenfeld als ein handlungsfähiges Gremium ist.
Am Montag, dem 8. September 2025, trat Bayrou mit seinem umstrittenen Sparhaushaltsplan vor die Abgeordneten. Er stellte die Vertrauensfrage, um sich das notwendige Mandat für seine Reformen zu sichern. Bereits im Vorfeld hatten sich laut einer Umfrage von IFOP 73 % der französischen Bevölkerung gegen den Plan ausgesprochen. Die Abstimmungsergebnisse waren klar: 221 Abgeordnete stimmten gegen, 174 für, während 30 sich enthielten – ein Ergebnis, das nicht nur Bayrou, sondern das gesamte „Ensemble“ ins Wanken brachte.
Die Bilanz der Abstimmung lässt sich in drei Stichpunkten zusammenfassen:
Der französische Parlamentarier Jean‑Luc Mélenchon aus LFI kommentierte nach der Abstimmung: "Wir haben das System genug ausgenutzt, um zu zeigen, dass dieses halb‑links‑halb‑rechts‑Parlament keine stabilen Entscheidungen treffen kann."
Nach dem Sturz Bayrous hat Präsident Macron drei Wege präsentiert, von denen er laut eigenen Angaben nur einen für realistisch hält:
In einer Pressekonferenz am 10. September wies Macron die Optionen 2 und 3 als „politische Fiktion" zurück und betonte: "Wir brauchen Kontinuität, nicht ein politisches Karussell." Experten der École normale supérieure warnten jedoch, dass das Ignorieren einer Neustart‑Option das Risiko von spontanen Demonstrationen – bereits in Lyon und Marseille angekündigt – erhöhen könnte.
Die französische Instabilität schwebt über ganz Europa. Der Euro‑Index hat seit dem 8. September 2025 um 0,4 % gegenüber dem Dollar nachgelassen, was vor allem in den exportorientierten deutschen Regionen Baden‑Württemberg und Bayern zu Besorgnis führt. Bundesfinanzminister Christian Lindner äußerte in Berlin: "Ein schwaches Frankreich ist ein Risiko für die gesamte Eurozone. Wir beobachten die Entwicklungen sehr genau und stehen bereit, die Stabilität des Euro zu unterstützen."
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Unterstützung der Ukraine. Frankreich hat sich bislang als einer der größten Geldgeber im NATO‑Verbund positioniert. Sollte die Regierungshandlung durch anhaltende Unstimmigkeiten behindert werden, könnte das die in Brüssel laufenden Finanzierungsrunden für die Ukraine gefährden. Laut einem Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) würde ein Verlustrisiko von bis zu 1,2 Milliarden Euro für das kommende Jahr entstehen, falls Frankreich nicht mehr glaubwürdig an europäischen Sicherungsmechanismen teilnimmt.
Die nächsten Tage werden zeigen, ob Macron tatsächlich einen neuen Premierminister ernannt – und wen er auswählt. Insider aus dem Élysée spekulieren über die mögliche Berufung von Nathalie Loiseau, einer bisherigen Ministerin für Wirtschaft, die in der FDP‑ähnlichen Bewegung "Ensemble Libre" aktiv ist. Sollte sie das Amt übernehmen, könnte ein gemäßigter Wirtschafts‑ und Sozialkurs verfolgt werden, der zumindest die Mitte des Parlaments überzeugt.
Unabhängig davon bleibt die Kernfrage offen: Kann Frankreich ein funktionierendes Regierungsmodell finden, das zwischen den extremen Polen vermittelt? Historisch gesehen hat das Land immer wieder Koalitionen zwischen Sozialisten und Konservativen gebildet, doch die aktuelle Fragmentierung scheint tiefer zu gehen – ein Hinweis darauf, dass die nächste Legislaturperiode vielleicht grundlegend neue Spielregeln erfordern wird.
Durch die Verunsicherung an den Finanzmärkten sinkt das Vertrauen in den Euro. Exportorientierte Unternehmen in Baden‑Württemberg und Bayern beobachten zudem steigende Produktionskosten, weil französische Lieferketten fragiler werden. Experten schätzen, dass das Bruttoinlandsprodukt der EU in den nächsten Quartalen um bis zu 0,2 % schrumpfen könnte, wenn keine stabile französische Regierung entsteht.
Macron kann einen neuen Premierminister ernennen, vorgezogene Neuwahlen ausrufen oder selbst zurücktreten. Er hat bereits erklärt, dass die beiden letzten Optionen für ihn nicht in Frage kommen – er sieht sie als politische Fiktion. Damit bleibt vorerst die Ernennung eines Nachfolgers, möglicherweise aus den Reihen seiner Partei, die wahrscheinlichste Lösung.
Die Entscheidung könnte das Fundament der europäischen Finanzstabilität erschüttern. Frankreich ist nach Deutschland der zweitgrößte Eurozonen‑Staat. Ein Regierungsstillstand könnte den europäischen Rettungsfonds schwächen und die geplanten Investitionen in die grüne Transformation gefährden, was langfristig den gesamten Kontinent zurückwerfen würde.
Die Mitglieder des Rassemblement National feierten den Sturz Bayrous als Sieg für ihre Anti‑Haushaltsreform‑Agenda, während die Linken (LFI, Sozialisten, Grüne) die Regierung als unfähig bezeichneten, die soziale Gerechtigkeit zu sichern. Beide Lager fordern nun eine Neuausrichtung – die Mitte bleibt ohne klare Mehrheit.
Frankreichs Rolle als Hauptspender für das Ukraine‑Hilfspaket könnte durch interne Konflikte geschwächt werden. Sollte das Parlament keine stabile Mehrheit finden, könnten geplante Finanzierungen verzögert oder reduziert werden – ein Risiko, das die gesamte NATO‑Strategie belastet.