Die Deutsche Bahn hat die für Dezember 2026 geplante Teileröffnung des Stuttgarter Tiefbahnhofs im Projekt Stuttgart 21 endgültig abgesagt. Bahn-Chefin Evelyn Palla informierte den Aufsichtsrat am 19. November 2025, dass technische Probleme bei der Digitalisierung das Projekt weiter blockieren. Der neue Bahnhof wird nun frühestens im Dezember 2027 in Betrieb gehen – ein Jahr später als zuletzt angekündigt. Die Fahrgäste müssen sich noch länger auf den alten Kopfbahnhof einstellen. Die Verzögerung ist nicht nur ärgerlich, sie ist ein weiterer Schlag für das Vertrauen in eine Projektlandschaft, die seit über 15 Jahren verspricht, die Zukunft zu bringen – und immer wieder versagt.
Warum der Tiefbahnhof nicht wie geplant fährt
Die Hauptursache für die erneute Verschiebung liegt nicht bei Bauverzögerungen oder Baumängeln, sondern bei einer Technik, die eigentlich die Zukunft der Bahn sein sollte: der digitalen Leit- und Sicherungstechnik namens
Digitaler Knoten Stuttgart (DKS). Der japanische Konzern
Hitachi ist als Hauptlieferant für diese Systeme verantwortlich – doch die Zulassung der Software und Hardware stockt. Die Technik, die Züge sicher und effizient steuern soll, ist nicht bereit. Weder die deutsche Eisenbahn-Bundesbehörde noch die internationale Zulassungsinstanz geben das grüne Licht. Ein Sprecher der
Deutsche Bahn bestätigte im Oktober 2025 gegenüber dem Lenkungskreis: "Weiterhin bestehen Terminrisiken, insbesondere bei der Entwicklung und Zulassung bei unserem Auftragnehmer."
Was früher als "Digitalisierungssprung" gefeiert wurde, ist nun ein schwarzes Loch. Die Software ist zu komplex, die Tests laufen nicht wie geplant, und die Kommunikation zwischen Hitachi und der Bahn scheint brüchig. Es ist, als würde man ein Flugzeug mit einem neuen Navigationscomputer ausstatten – und dann herausfinden, dass der Computer nicht weiß, wo er ist.
Politische Wut in Baden-Württemberg
Baden-Württembergs Verkehrsminister
Winfried Hermann reagierte mit scharfer Kritik. "Wir wurden getäuscht", sagte er am Tag der Ankündigung. "Erst vor wenigen Wochen hat die Bahn uns schriftlich bestätigt, dass Dezember 2026 steht. Jetzt sagt sie: Nein, nicht mal 2027 ist sicher. Das ist nicht nur unprofessionell – das ist ein Vertrauensbruch."
Die Landesregierung hatte sich auf den 2026-Termin verlassen, um weitere Infrastrukturprojekte zu planen – etwa die Anbindung der Gäubahn. Jetzt steht sie vor einem Rätsel: Wie soll man die Region modernisieren, wenn das zentrale Projekt nicht mal seinen eigenen Zeitplan einhält? Hermann fordert nun eine unabhängige Prüfung der Projektsteuerung. "Wir brauchen Transparenz, keine weiteren Versprechungen."
Die Gäubahn – ein Opfer der Verzögerung?
Die Auswirkungen reichen weit über Stuttgart hinaus. Die
Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn, eine wichtige Regionalstrecke, sollte eigentlich im März 2027 in Stuttgart-Vaihingen "abgekoppelt" werden – also nicht mehr direkt in den Hauptbahnhof fahren, sondern nur noch bis zum S-Bahn-Umsteigepunkt. Der Grund: Bis der Tiefbahnhof fertig ist, soll der Verkehr auf die neue Route über den Flughafen umgeleitet werden.
Doch wenn der Tiefbahnhof nicht 2027, sondern erst 2028 oder 2029 kommt, bleibt die Gäubahn jahrelang abgeschnitten. "Das wäre niemandem vermittelbar", sagt
Wolf, Vorsitzender des Interessenverbandes. "Die Menschen im Süden werden nicht verstehen, warum sie vorzeitig abgehängt werden, während der neue Bahnhof noch Jahre braucht."
Der Verband fordert nun: Keine Kappung der Gäubahn, bevor der Tiefbahnhof endgültig freigegeben ist. Sonst wird die Verzögerung nicht nur ein Problem der Bahn – sie wird ein soziales Problem für Tausende Pendler.
Ein Projekt, das seit 15 Jahren in der Krise steckt
Stuttgart 21 ist kein neues Versagen – es ist ein fortlaufendes Drama. 2010 begann der Bau, 2011 stimmte die Bevölkerung mit knapper Mehrheit für den Weiterbau – trotz massiver Proteste. 2016 wurde das Ziel auf 2024 verschoben, dann auf 2026. Im Juli 2025 hieß es noch: "Teilbetrieb ab Dezember 2026, Fernverkehr in den Tiefbahnhof." Jetzt? Kein Termin mehr. Nur noch "frühestens 2027" – und selbst das ist fragil.
Die Schnellfahrstrecke Wendlingen–Ulm, die 2022 in Betrieb ging, war ein Lichtblick. Sie bewies: Mit guter Planung und klarem Fokus kann die Bahn auch Großprojekte liefern. Aber Stuttgart 21 ist ein anderes Tier. Es ist ein Bauprojekt, ein Verkehrskonzept, ein politisches Symbol – und ein technisches Monster, das sich selbst verschlingt.
Was kommt als Nächstes?
Die
Deutsche Bahn hat angekündigt, im Frühjahr 2026 einen neuen, realistischen Zeitplan vorzulegen. Aber wer glaubt noch an Zahlen? Experten wie
Hans Leister von der Initiative "Zukunft Schiene" warnen: "Wenn der neue Tiefbahnhof endlich fährt, wird das ein Fahrplanwechsel von europäischer Tragweite sein – und er wird chaotisch."
Die Bahn muss jetzt nicht nur Technik liefern, sondern Vertrauen zurückgewinnen. Das bedeutet: klare Kommunikation, unabhängige Kontrolle, und vor allem: keine neuen Versprechen ohne Beweise.
Was bedeutet das für Reisende?
Für Fahrgäste heißt das: weiterhin Kopfbahnhof. Weitere Umsteige- und Wartezeiten. Mehr Lärm, mehr Stau, mehr Ärger. Die S-Bahn wird weiter überlastet. Der Nahverkehr bleibt im Dauerstress. Und die Hoffnung auf eine moderne, zentrale Bahnstation? Sie rückt weiter in die Ferne.
Frequently Asked Questions
Warum ist die Technik des Digitalen Knotens Stuttgart so problematisch?
Die von Hitachi gelieferte Leit- und Sicherungstechnik für den Digitalen Knoten Stuttgart ist nicht zertifiziert – die Software weist unerwartete Fehler auf, die Tests laufen nicht wie geplant, und die Kommunikation zwischen dem japanischen Lieferanten und der Deutschen Bahn ist unzureichend. Die Eisenbahn-Bundesbehörde weigert sich, das System freizugeben, solange die Sicherheitsstandards nicht eindeutig nachgewiesen sind.
Warum wird die Gäubahn nicht einfach weiter bis zum Hauptbahnhof geführt?
Weil die Gleise und Bahnsteige im alten Hauptbahnhof für den geplanten Umstieg auf den Tiefbahnhof umgebaut werden müssen. Solange der neue Bahnhof nicht steht, dürfen die alten Anlagen nicht dauerhaft überlastet werden – das wäre ein Sicherheitsrisiko. Die Kappung ist also kein Willkürakt, sondern eine notwendige Vorbereitung – nur eben jetzt falsch zeitlich angesetzt.
Ist Stuttgart 21 jetzt endgültig gescheitert?
Nein, das Projekt ist nicht gescheitert – aber es ist schwer krank. Die politische und finanzielle Unterstützung bleibt bestehen, doch das Vertrauen ist erschüttert. Der Bau des Tiefbahnhofs selbst ist weitgehend abgeschlossen, das Problem liegt ausschließlich in der Technik. Wenn Hitachi und die Bahn die Zulassung endlich schaffen, kann das Projekt noch gerettet werden – aber nur mit radikaler Transparenz.
Wann wird der gesamte Bau von Stuttgart 21 endgültig abgeschlossen?
Die Deutsche Bahn geht aktuell von einem vollständigen Abschluss bis 2032 aus – inklusive aller Nebenprojekte wie Tunnelverbindungen, Umsteigehallen und der endgültigen Integration der S-Bahn. Selbst wenn der Tiefbahnhof 2027 eröffnet, bleibt noch viel Arbeit: Die alte Oberfläche des Bahnhofs muss abgerissen, der Schlossgarten neu gestaltet und die Verkehrsführung in der Innenstadt komplett umgekrempelt werden.
Wie viel Geld ist bisher in Stuttgart 21 investiert worden?
Bis Ende 2025 wurden laut Bundesrechnungshof rund 11,2 Milliarden Euro in das Projekt investiert – davon 6,7 Milliarden von der Deutschen Bahn, 3,9 Milliarden vom Bund und 600 Millionen vom Land Baden-Württemberg. Die Gesamtkosten werden nun auf über 13 Milliarden Euro geschätzt – fast doppelt so viel wie ursprünglich geplant.
Was sagt die Öffentlichkeit dazu?
Die Stimmung in Stuttgart ist gemischt: Viele Bürger sind frustriert, aber nicht mehr wütend – sie haben aufgehört, zu hoffen. Ein Umfrage der Stuttgarter Zeitung im Oktober 2025 ergab, dass nur noch 31 % der Befragten glauben, dass Stuttgart 21 jemals einen echten Mehrwert bringen wird. Die Mehrheit sieht es mittlerweile als teures Symbol für bürokratische Überforderung – nicht als Lösung.